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Rosa-Schapire-Kunstpreis 2020: Die Preisträgerin

2017 stellte die amerikanische Künstlerin Kathleen Ryan auf Einladung Jasper Sharps im Kunsthistorischen Museum in Wien aus. Neben bildhauerischen Fragestellungen behandelt Ryan in ihrem Werk Sexualität, Dekadenz und nicht weniger als den Zyklus des Lebens.

Früchte faulen vor sich hin, gigantische Traubendolden sacken in sich zusammen, riesige Birnen, Orangen und Zitronen blühen in den schönsten Schimmelfarben aus. Kathleen Ryans Skulpturen feiern den Verfall. Altmeisterliche Stillleben überträgt sie in große Skulpturen, die zugleich wie winzige Preziosen gearbeitet sind: Über und über mit Perlen, Edelsteinen und Halbedelsteinen besetzt, spiegeln sie die absurde Schönheit des Schimmels im Widerspruch zwischen Ekel und Anziehung.

Diesen Widerspruch bewirkt nicht zuletzt das Auseinanderdriften von Motiv und Material. Erst auf den zweiten Blick sieht man, dass die Traubenstängel aus kupfernem Klempnerrohr bestehen. Statt auf eine Silber platte bettet sie eines ihrer Stillleben (Pleasures Known, 2019) auf einen industriellen Eisentrailer. Und die Schale einer aufgeplatzten Riesenmelone entpuppt sich als Karosserie eines Airstream-Wohnmobils, Sinnbild und Statussymbol amerikanischen Freiheitsdenkens.

Der scheinbaren Schönheit ist eine harsche Zivilisationskritik eingeschrieben. »Bad Fruits« nennt sie ihre Objekte, die sich wie Kommentare zu Ressourcenausbeutung und Naturzerstörung lesen lassen, aber auch als Überdruss am Überfluss, Ausdruck einer buchstäblichen »Dekadenz«, die sich aus dem lateinischen Wort für »Verfall « ableitet.

Die 1984 im kalifornischen Santa Monica geborene Künstlerin, die nach dem Studium der Anthropologie am Pitzer College in Claremont ihren Master of Fine Arts an der University of California in Los Angeles gemacht hat, arbeitet mit Kontrastkopplungen und treibt die Betrachter auf allen Ebenen in kognitive Dissonanzen. Kleines überführt sie in Großes, Weiches in Hartes, Leichtes in Schweres, Hässliches in Schönes: Aus Schimmel macht sie Schmuck, aus einer massiven Mauer ein filigranes Gitter aus glasierter Keramik (Block Wall, 2012). Oft kollidiert die Natur mit der Industriekultur: Pflanzenformen fertigt sie aus Stahl, Palmen aus Polycarbonat (Ghost Palm, 2019), und zu Stalaktiten erstarrte Papageien aus Keramik besetzen eine Satellitenschüssel (Satellite in Repose, 2018).

Zur Debatte stehen dabei stets auch Grundfragen der Skulptur. Das alte Problem von Figur und Sockel etwa reformuliert sie in Between Two Bodies (2017), indem sie drei Orangen zwischen zwei große Granitblöcke legt, und in Throne (2017) kleidet sie es gar mystisch ein: Der Thron, der an jenen der mittelalterlichen Muttergottes mit Jesusknaben, die Sedes sapientiae (»Sitz der Weisheit«), erinnert, zeigt nur noch die Spuren eines abwesenden Körpers. In der Bacchante (2015) schließlich gießt sie die weiblichen Reize in die Form einer Traube, Attribut der Orgien des antiken Weingottes und seiner Begleiterinnen, die sie wie in ekstatischer Verrenkung über Stelen und Stützen drapiert.


TEXT: VERONIKA SCHÖNE