Ulla von Brandenburg (*1974) Karneval I (aus der Serie Karneval I–VII), 2017 Holzdruck, 76 × 64,5 cm  Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett / bpk © Ulla von Brandenburg Foto: Christoph Irrgang
Almir Mavignier, Blatt 4 aus der Serie Punctum, 1965/66,  Siebdruck, 620 × 630 mm, Hamburger Kunsthalle / bpk, Foto: Christoph Irrgang
Die Künstlerin Nora Schultz mit Drucker Carlos León inmitten ihrer  Arbeiten in der Werkstatt Handdruck Loeding & Sturm, Foto: Ellen Sturm
Zurück

Serientäter

Angela Holzhauer befragt Petra Roettig und Leona Marie Ahrens über die Sammlung serieller Graphik in der Kunsthalle, experimentelle Zusammenarbeit von Künstlern und Druckern und die aktuelle Ausstellung Serien. Druckgraphik von Warhol bis Wool.

Angela Holzhauer: Liebe Petra Roettig, liebe Leona Marie Ahrens, wann hat die Kunsthalle damit begonnen, zeitgenössische Druckgraphik zu erwerben? Und was haben die Kunstströmungen der 1960er-Jahre damit zu tun?

Petra Roettig: Schon Alfred Lichtwark kaufte um 1900 im großen Umfang Serien von Max Klinger und anderen Künstlern seiner Zeit. Wir konzentrieren uns jetzt bei der Ausstellung auf die graphischen Folgen von den 1960er-Jahren bis heute. Denn 1968 erwarb die Kunsthalle mit den Siebdrucken der Marilyn-Porträts (1967) von Andy Warhol die wohl bedeutendste Serie der amerikanischen Pop Art. Im selben Jahr kam Josef Albers’ Hommage au Carré (1965) hinzu, ebenfalls ein Meilenstein serieller Kunst. Es folgten Roy Lichtensteins Haystack-Serie (1969) und Victor Vasarelys Hommage à l’hexagon (1971). Ziel ist es, diese großartige Sammlung vorzustellen. Dabei interessiert uns die Idee der Serie als Prozess: von der ersten Konzeption, der Kooperation von Künstler*in und Drucker*in über den Prozess des Druckens bis hin zum Hängen von Serien an der Wand. Das alles ist ein prozesshaftes Arbeiten, das in seriellen Werken besonders sichtbar wird. Und wir wollen wissen, was Künstler und Künstlerinnen heute noch am Thema der Serie fasziniert.
Unser Ausgangspunkt sind Warhols Serien wie Campbell’s Soup I und II (1968 und 1969) oder Electric Chair (1971). Als erfahrener Werbegraphiker zitiert er in seiner Kunst nicht nur die Methoden der seriellen Produktion von Konsumgütern, sondern verweist damit auch auf ihre ständige Verfügbarkeit und Vermarktung in der Werbung und den Massenmedien. 

Womit wir bei den Zeitphänomenen dieser Jahre angelangt wären: Massenmedien, Werbung und Konsumoptimismus. Was ist mit Politik, den großen gesellschaftlichen Demokratisierungsbewegungen? Zeigen diese sich in der Kunst?

Roettig: Warhol nutzte als Technik den vorwiegend in der Werbung verwendeten Siebdruck, der hohe Auflagen erlaubt. Viele Künstler sahen in der Druckgraphik und den Multiples die einzige demokratische Alternative zum herkömmlichen kommerziellen Kunstmarkt. Der Einsatz von Graphik wandte sich daher explizit auch gegen das Kunstwerk als Statussymbol. Jeder sollte Kunst erwerben können. Dazu kam die Idee von Künstlern wie Robert Rauschenberg oder Jasper Johns, die eigene »Handschrift« im Bild sei nicht wichtig. Neben der Pop Art waren es vor allem die Minimal- und die Konzeptkunst, die mit ihren graphischen Folgen das Serielle als Idee und Form in den Vordergrund stellten. 

Signalisiert die partnerschaftliche Zusammenarbeit von Künstlerinnen und Künstlern mit ihren Druckern darüber hinaus auch den Abschied vom Künstler-Nimbus?

Leona Marie Ahrens: Die Zusammenarbeit zwischen Künstler*innen und Drucker*innen geschieht auf ganz unterschiedliche Weise. Manche Künstler*innen kommen mit einer fertigen Druckplatte oder einem Entwurf, der fotomechanisch in die jeweilige Technik übertragen wird und dann in den Druck geht, und andere Künstler*innen, vor allem diejenigen, die bisher nur wenig Druckerfahrung haben oder neue Techniken ausprobieren möchten, arbeiten eng mit den Drucker*innen zusammen, sodass eine künstlerische Idee auch im gemeinschaftlichen Prozess des Auslotens von Möglichkeiten des Druckens entstehen kann. Die Drucker und Druckerinnen spielen oft eine wesentliche Rolle, dennoch stehen der Künstler und die Künstlerin immer noch im Zentrum der Aufmerksamkeit – wie auch schon in früheren engen Künstler-Drucker-Beziehungen beispielsweise von Picasso und seinem Lithographen Fernand Morlot.

Wie weit ging die eine oder andere Symbiose zwischen Künstler und »Printmaker«?

Ahrens: Eine außergewöhnliche Beziehung pflegte zum Beispiel Frank Stella zu seinen Druckern, da die Petersburg Press ihm ein Druckstudio in seinem eigenen Haus einrichtete. Seine Druckprojekte waren oft sehr aufwendig in der Kombination verschiedener Techniken, Farben und unterschiedlicher Druckebenen und konnten nur durch diese enge Zusammenarbeit entstehen. Thomas Schütte wurde von seinem Drucker Till Verclas erst zur Radierung – seiner heute bevorzugten Technik – animiert, und Sigmar Polke und sein Drucker Mike Karstens erfanden zusammen das Drucken auf ungewöhnlichen Materialien wie Eidechsenhautpapier. 

Und wie ist der Einfluss besonders engagierter Galeristen und Verleger auf die Entwicklung der Druckgraphik zu werten – was war deren Motivation, sich dem Thema Serie und Edition zu widmen?

Ahrens: Ohne die Galerien und Verlage wären viele der druckgraphischen Serien und Editionen gar nicht möglich, da sie oftmals Künstler*innen erst zur Druckgraphik motivieren, sie mit passenden Drucker*innen zusammenbringen und für die Finanzierung verantwortlich sind. Die griffelkunst in Hamburg stellt ihre Künstler und Künstlerinnen zum Beispiel immer in Serien vor, sodass die Serie hier sogar als Vermittlungsform dient und Originalgraphik insgesamt einem breiteren Publikum zugänglich gemacht werden soll. Aus diesem Grund ist sie auch ein interessanter Kooperationspartner für unsere Ausstellung. Außerdem ist die Kunsthalle seit der Gründung der griffelkunst 1925 Mitglied dieser Graphikvereinigung.

Serie, Edition – bitte erklären Sie kurz den Unterschied.

Ahrens: Eine druckgraphische Serie muss aus mindesten zwei oder mehr Blättern bestehen und als zusammengehöriges Werk konzipiert sein. Eine Edition dagegen ist die Auflage eines druckgraphischen Werks oder einer Serie, wobei jedoch jedes einzelne Blatt einer Edition ein Original darstellt und oft mit Unterschrift, Datum und Nummerierung der Auflagenhöhe versehen ist. 

Warum fördern ausgerechnet älteste Hoch- und Tiefdruck-Techniken die Experimentierfreude der Künstlerinnen und Künstler? Was ist das Reizvolle am Drucken im Unterschied zum Malen?

Roettig: Für viele Künstlerinnen und Künstler ist die Auseinandersetzung mit traditionellen Techniken wie Radierung, Holzschnitt oder Lithographie unglaublich spannend und zugleich inspirierend. Wie der dänische Meisterdrucker Niels Borch Jensen, bei dem viele Künstler*innen zum ersten Mal mit Druckgraphik in Berührung kamen, sagt, ist es immer ein Spiel von »Experiment, Überraschung und Distanz.« 

Und was gibt es für neue Techniken und Tendenzen in der Druckgraphik?

Ahrens: Neuere Techniken sind vor allem fotomechanische und digitale Verfahren wie der Inkjet-Print. Interessant sind aber vor allem die Verbindungen von traditionellen Drucktechniken und fotomechanischen und digitalen Verfahren. So können Vorlagen beispielsweise am Computer entwickelt werden, um sie dann in eine Drucktechnik zu überführen. Zusätzlich sind Experimenten mit unterschiedlichsten Materialien keine Grenzen gesetzt. 

Was ist eigentlich der Reiz an der Wiederholung, sowohl im Entwurf als auch in der Ausführung?

Ahrens: Wiederholungen assoziieren wir zunächst mit Gleichheit. In Serien geht es jedoch immer um ein Spiel aus Wiederholung und Varianz. Von diesem Thema waren auch Philosophen wie Gilles Deleuze und Umberto Eco fasziniert und erforschten die Differenz in der Wiederholung aus unterschiedlichsten Blickwinkeln. Künstler*innen nähern sich Themen generell durch ständige Wiederholungen und Variationen in Entwürfen an, die Teil des Werkprozesses oder selbst Werk werden. Gerade in druckgraphischen Serien tauchen Wiederholungen in mehrfacher Hinsicht auf, sei es im Thema der Serie, das sich von Blatt zu Blatt als wiederholende Variation ändert, sei es im Druckprozess selbst, der sich von Blatt zu Blatt wiederholt und doch immer wieder Unikate schafft, oder sei es in der Drucktechnik des Siebdrucks, in der in der Rasterform des Siebes das Wiederholungsmoment bereits enthalten ist. 

Dennoch geht der Trend in der Druckgraphik schon seit einiger Zeit zum Unikatdruck auch innerhalb einer Serie, also weg von hohen Auflagen. Was steckt dahinter?

Roettig: Serien wie Helen Cammocks Folge Shouting in Whispers (2017), die wir 2020 erworben haben, wurden z.B. in einer Auflage von nur drei Exemplaren gedruckt. Stefan Marx wiederum macht Unikatdrucke, die es tatsächlich nur einmal gibt, sogenannte Monotypien. Das hat dann schon fast einen malerischen Charakter – nur eben mit dem Siebdruck.

Wie ist das Verhältnis von Künstlerinnen zu Künstlern im druckgraphischen Bereich?

Ahrens: Gerade in den großen Verlagen und Druckwerkstätten, die in den 1960er-Jahren entstanden, waren Künstlerinnen zunächst nur selten vertreten, was sich auch in den Ankäufen der Hamburger Kunsthalle und damit in der Auswahl für diese Ausstellung widerspiegelt. Erst in unserer Rubrik der zeitgenössischen druckgraphischen Serien sind Künstlerinnen gleichberechtigt vertreten, etwa Nina Canell, Ulla von Brandenburg, Jenny Holzer oder Corinne Wasmuht, was sich auch in der heutigen Zusammenarbeit von Druckwerkstätten und Künstlerinnen zeigt. 

Der begleitende Katalog zur Ausstellung Serien. Druckgraphik von Warhol bis Wool fängt bei Josef Albers an und endet bei Christopher Wool – ein profundes und schön gedrucktes Kompendium zum Stand der Druckgraphik heute. So eine alphabetische Reihung kommt für die Präsentation in der Galerie der Gegenwart ja nicht in Frage. Für alle, die es noch nicht gesehen haben: Wie sieht das Ausstellungskonzept aus? Wie zeigen Sie den Bogen von gut 60 Jahren Kunstgeschichte?

Roettig: Es beginnt chronologisch mit den frühen Warhol-Arbeiten über narrative Zyklen wie Hockneys A Rake’s Progress (1961–63), den geometrischen Abstraktionen in der Minimal Art, John Cage, Bruce Nauman, Fluxus, Dieter Roth, Sigmar Polke, Thomas Schütte – von dem wir die meisten Serien besitzen – bis hin zu den neuen Tendenzen mit Nina Canell oder Dasha Shishkin. Damit präsentiert die Ausstellung nicht nur die Höhepunkte der Sammlung, sondern auch die wichtigsten Positionen der aktuellen Kunst. 

Warum brauchte es zusätzliche Leihgaben? Und welche sind das?

Ahrens: Wie Petra eingangs schon geschildert hat, basiert diese Ausstellung auf der druckgraphischen Sammlung von Serien der Hamburger Kunsthalle. Eine Serie von Matt Mullican, die bei Keystone Editions in Berlin gedruckt worden ist, war uns dann sehr wichtig als Leihgabe mit aufzunehmen, vor allem um diese Lithowerkstatt mit Drucker*innen, die am legendären Tamarind Institute in New Mexico ausgebildet wurden, in unserer Ausstellung vorzustellen. Eine ganz aktuelle Arbeit von Nobuko Watabiki ist aus der Zusammenarbeit mit dem Atelier für Druckgrafik in Wedel hervorgegangen, von dem wir auch Probedrucke erhalten haben, um die verschiedenen Prozesse beim Drucken verdeutlichen zu können. Auch die wollten wir unbedingt zeigen. 

Thomas Schütte bevorzugt eine räumliche Hängung seiner druckgraphischen Serien. Welche räumlichen Überlegungen spielten bei der Ausstellungskonzeption eine Rolle?

Ahrens: Sie denken an seine Wattwanderung von 2001, die er wie an Wäscheleinen in den Raum gehängt hat, nicht wahr? Diese Hängung ist hier aus konservatorischen Gründen leider nicht möglich. Nur Nora Schultz mit ihren gedruckten Tapetenbahnen, die wir als weitere Leihgabe ergänzt haben, erinnert an eine Rauminstallation. Allerdings haben wir uns insgesamt bei der räumlichen Aufteilung für große und offene Flächen entschieden, um einerseits der Präsenz der Serien – oftmals in Raster- und Reihenhängung – Rechnung zu tragen und anderseits einen offen angelegten chronologischen Überblick druckgraphischer Serien zu vermitteln. 

Die Ausstellung knüpft an die vorangegangenen Präsentationen Zeichnungsräume. Positionen zeitgenössischer Graphik I + II (2016/17), Künstlerbücher. Die Sammlung (2017/18) und auch KP Brehmer. Korrektur der Nationalfarben (2019) an. Wie tut sie das? Und was ist die Kernaussage dieser Ausstellung?

Roettig: Die Idee ist natürlich, dem Publikum diese Schätze zu zeigen und damit auch unsere Arbeit als Kuratorinnen einer Sammlung vorzustellen. Die Zusammenarbeit von Künstler*innen und Drucker*innen hat mich schon immer interessiert, weil es im Idealfall ein perfekter Dialog ist. Wie hoch der Anteil der Drucker und Druckerinnen dabei ist, wissen viele nicht.

In England und in Amerika kümmern sich ganze  Abteilungen der Museen ausschließlich um den Erwerb und die Erforschung von Druckgraphik und Künstlerbüchern. Ist der deutschsprachige Raum, ist jetzt die Hamburger Kunsthalle auf einem guten Weg dahin?

Roettig: Die Ausstellung zeigt, dass wir dank der hervorragenden Erwerbungen von Hanna Hohl, der Leiterin des Kupferstichkabinetts bis 2000, schon immer auf einem guten Weg waren. Aber in den letzten Jahren ist, in Zusammenarbeit mit Andreas Stolzenburg, tatsächlich viel passiert. Gerade haben wir von den Freunden der Kunsthalle die großartige Serie von Almir Mavignier Punctum (1965/66) geschenkt bekommen. Über den Fonds für Junge Kunst der Stiftung für die Hamburger Kunstsammlungen haben wir die Drucke von Stefan Marx erwerben können, oder Thomas Schüttes Obst & Gemüse (2019) über eine Schenkung der Familie Dammann. Trotzdem gibt es viele Desiderate, gerade bei den Künstlerinnen: Bridget Riley, Julie Mehretu, Tacita Dean usw.

Und was könnte ein nächstes Thema sein, um mit Druckgraphik aus der Hamburger Kunsthalle weiter in Serie zu gehen?

Roettig: Zum Beispiel das Thema der Graphic Novel, also das Zusammenspiel von Text und Bild, oder Storyboards von Künstlerfilmen. Auch eine Art von Serien!

Spätestens jetzt sollte klar sein: Die absolut übergeordnete Klammer durch die Ausstellung ist die gemeinsame Liebe zum Druck. Verraten Sie uns zum Schluss noch bitte jeweils Ihre persönliche Druck-Vorliebe!

Ahrens: Diese Liebe gilt bei mir vor allem der Vielfältigkeit der verschiedenen Drucktechniken, die neu kombiniert werden können und mit verschiedensten Materialien und Herangehensweisen oft überraschende Ergebnisse zum Vorschein bringen. Aber wenn ich mich entscheiden müsste, würde ich den Tiefdruck wählen, der mich aufgrund der Komplexität der Technik und des Materialzusammenspiels von Papier und Druck fasziniert. 

Roettig: Für mich ist es die Faszination der unendlichen Möglichkeiten beim Druck – Farbvariationen oder technische Experimente – und das schier unbegrenzte Ausloten gemeinsamer Ideen von Künstler*innen und Drucker*innen.

Vielen Dank für das Gespräch!

 

PETRA ROETTIG ist Sprecherin der Sammlungen, leitet die Sammlung Kunst der Gegenwart (Graphik und Fotografie, Medien) an der Hamburger Kunsthalle und ist Kuratorin der Ausstellung.

LEONA MARIE AHRENS ist Wissenschaftliche Assistentin, u. a. für Serien. Druckgraphik von Warhol bis Wool.

ANGELA HOLZHAUER ist Journalistin, Redaktionsleiterin des Magazins freunde und betreibt eine Galerie mit einem Schwerpunkt auf zeitgenössischer Druckgraphik.