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Ernst Wilhelm Nay – Gesprächsreihe: 3. Teil: Interview mit Studierenden der Hochschule für bildende Künste Hamburg

Am 24. März 2022 eröffnet die Hamburger Kunsthalle ihre große Sommerausstellung »Ernst Wilhelm Nay. Retrospektive« mit über 100 Werken des Künstlers, Gemälden, Aquarellen und Zeichnungen aus allen Schaffensphasen (25. März bis 7. August 2022). In zweiter und dritter Station wird sie im Museum Wiesbaden und dem MKM Museum Küppersmühle für Moderne Kunst, Duisburg, zu sehen sein. Als kleinen Vorgeschmack auf die Schau führt Anna Ganzleben, die derzeit die Kuratorin Dr. Karin Schick und die wissenschaftliche Mitarbeiterin Sophia Colditz unterstützt, in den kommenden Wochen drei Interviews mit Personen, die in unterschiedlicher Weise zum Gelingen der Ausstellung beitragen. Heute spricht sie mit jungen Künstlerinnen und Künstlern der Hochschule für bildende Künste Hamburg (Klasse Jutta Koether, Professorin für Malerei/Zeichnen). 14 Studierende setzen sich im Vorfeld der Ausstellung an drei Terminen vor Ort in der Hamburger Kunsthalle mit unterschiedlichen Gemälden Nays auseinander, darunter Die Quelle (1947), Akkord in Rot und Blau (1958) sowie Mit roten und schwarzen Punkten (1954). Während der Laufzeit der Schau werden sie in zwei Performances ihre Gespräche über Nay öffentlich führen sowie ihre eigenen künstlerischen Antworten auf ihn präsentieren.

AG: Ihr habt Euer Projekt im Rahmen der Ausstellung »Ernst Wilhelm Nay. Retrospektive« unter das Motto »Nay, can you hear me?« (»Nay, kannst Du mich hören?«) gestellt. Welcher Gedanke, welche Idee liegt dem zugrunde, und wie kam es dazu?

»Als Generation junger Künstlerinnen und Künstler wurden wir eingeladen, mit Nay zu arbeiten, einem verstorbenen Künstler. Wir wollten nun in Kommunikation mit ihm treten und ihn in die Art integrieren, wie wir miteinander kommunizieren, wie wir miteinander umgehen.«

»Er hat ja 1953 als Dozent in Hamburg unterrichtet, er vermittelte den Studierenden etwas. Wir wollten hier eine Art Umkehrung schaffen, indem wir jetzt ihn ansprechen.« 

»Dabei frage ich mich, ist diese Kommunikation wirklich möglich? Können wir seine Bilder so besprechen, wie wir unsere eigenen Werke in der Klasse besprechen würden?« 

»Das wird ja ein Anlass für die Retrospektive gewesen sein: Man widmet sich der Frage, wie wir uns heute auf seine Malerei beziehen können. Nays Werke werden im historischen Kontext betrachtet, um dann eine Brücke in unsere Zeit zu bauen.«

AG: Warum habt Ihr Euch für eine Teilnahme an dem Projekt entschieden? War Euch der Maler Nay im Vorfeld eigentlich schon vertraut, oder habt Ihr Euch erstmals mit ihm und seiner Zeit befasst? 

»Es hat schon eine Rolle gespielt, dass wir als Studierende von der Kunsthalle angefragt worden sind. Etwas zu betrachten, das zeitlich von uns entfernt ist, finde ich aber immer wichtig. Gerade in dem Format, das wir gefunden haben – im Gespräch vor den Bildern, mit großer Offenheit, die auch Ambivalenz zulässt.« 

»Ich empfinde es gleichzeitig als herausfordernd. Das Projekt, das Betrachten von Nays Werken ermöglicht Bezüge zur eigenen Arbeit, macht aber auch Abstände deutlich. Es ist eine Herausforderung, sich zu positionieren und über die eigene Arbeit in Kommunikation mit seinem Erbe zu gehen: Das birgt Potenzial!«

»Wir als Gruppe haben uns vor Beginn der Sessions vor Ort gefragt: Was bringt uns das? Interessiert uns diese Malerei? Es war uns zunächst unklar. Aber auch diese Unklarheit barg ein Interesse, war ein Argument für die Teilnahme. Und zum zweiten Teil der Frage: Ich kannte ihn nicht. Die Eltern einer Freundin von mir schon, sie wollten am liebsten schon letzte Woche in die Ausstellung. Die waren richtig enttäuscht, als das noch nicht ging.« 

AG: Ihr seid Studierende an der Hochschule für bildende Künste, der Nachfolgeinstitution der Landeskunstschule Hamburg, an der Nay im Herbst 1953 drei Monate lang unterrichtete. Dafür hatte der Künstler zunächst für sich selbst Grundsätze seines Arbeitens formuliert und diese dann seiner Lehre zugrunde gelegt; zwei Jahre später erschien seine kunsttheoretische Schrift Vom Gestaltwert der Farbe. Welche Gemeinsamkeiten, welche Unterschiede seht Ihr zwischen dem damaligen und heutigen Lehren und Lernen an der HFBK? 

»Wir hatten seinen Ansatz des Lehrens von Anfang an sehr präsent. Dieses Frontale, Vermittelnde war damals üblich und ich meine auch, aus seinem Werk einen gewissen Wahrheitsanspruch lesen zu können.« 

»Als Malerei-Studierende erleben wir heute eine Lehre, die sehr anders und daher kaum vergleichbar ist. Nay machte in seinem Unterricht konkrete Regel- und Kompositionsvorschläge. Das gibt es bei uns gar nicht.« 

»Das stimmt so nicht, es gibt zumindest eine festgelegte Redekultur. Aber in jeder Arbeit, in jeder individuellen Entwicklung wird versucht, einen Freiraum herzustellen, eine persönliche Auseinandersetzung möglich zu machen. Doch die ist auch geprägt vom Diskurs in der Klasse.« 

»In Abgrenzung zu seiner Lehre ist heute Dissens ein wichtiger Motor, eine wichtige Qualität des Lernens, und nicht ein Konsens.« 

AG: Als Künstlerinnen und Künstler arbeitet Ihr in den verschiedensten Medien. Als Malerei-Klasse erwerbt Ihr an der HFBK sicher auch maltechnische Grundlagen. Fallen Euch beim Betrachten der Gemälde von Nay Besonderheiten auf – was erscheint Euch vertraut, was eher fremd?

»Der Umgang mit Formen war bei ihm ein anderer, geschlossener. Unsere heutige Auseinandersetzung mit Rechteck, Kreis, Oval, diesen Grundformen, erscheint mir aufgebrochener.« 

»Ich finde es tatsächlich schwierig, Verknüpfungen herzustellen mit meinem eigenen Malen, meiner eigenen Mallust. Ich betrachte nun einmal ein historisches Werk. Ich habe das Bild heute lange betrachtet und dabei natürlich Lust bekommen zu malen – aber ich kann da gar nicht so leicht anknüpfen an das, was ich in der Malerei suche.« 

»Was mich gleichzeitig irritiert und fasziniert, ist seine Art und Weise mit Farbe zu behaupten – eine Selbstermächtigung, die die Farbe ihm ermöglichte!«

AG: Mit Beginn unseres Projekts hattet Ihr Euch vorgenommen, auf Nay zu antworten. Wie hat sich Euer Arbeiten gestaltet, könnt Ihr vielleicht ein paar Prozesse und Ergebnisse beschreiben? Oder ist die Auseinandersetzung noch gar nicht abgeschlossen, wollt Ihr sie fortführen? 

»Ich finde den Prozess als solchen total interessant. Wir kommen hierher, betrachten und besprechen als Gruppe die Kunst, bringen aber jede und jeder für sich Vorprägungen aus Strukturen mit, in denen wir uns jeweils bewegt haben. Es kann für Außenstehende spannend sein, in unseren Performances zu bemerken, dass wir eine Praxis als Klasse haben, aber auch jeder und jede seine eigene.« 

»Mit jedem weiteren Treffen, das wir haben, wächst der kollektive Organismus, woraufhin wir auch wieder auseinandergehen. Wir erleben ein gemeinsames Lernen, einen Lernprozess dazu, wie wir über unserer Erkenntnisse kommunizieren und diese dann auch materialisieren können.« 

»Für mich sind die Sessions Materialsammlungen an gemeinsamen Momenten, an denen wir weiterarbeiten werden: Das Material gilt es jetzt zu übersetzen in die Performances.« 

»Die Performance hat übrigens schon angefangen. Die Performance hat angefangen mit dem ersten Tag der Auseinandersetzung mit Nay. Und die Performance geht weiter!«

Am Interview beteilgt waren: Lisa Dohmstreich, Theo Huber, Emma Kallan, Leon Keller, Leena Lübbe, Anne Meerpohl, Max Postma, Philipp Joy Reinhardt und Mirjam Walter.
In den Sälen von »Ernst Wilhelm Nay. Retrospektive« im 2. OG der Galerie der Gegenwart präsentieren die Studierenden der Hochschule für bildende Künste Hamburg am 28. April und 5. Mai 2022, jeweils um 19 Uhr zwei Performances. Die Teilnahme ist im Eintritt zur Ausstellung enthalten und keine gesonderte Anmeldung erforderlich.

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Studierende der Hochschule für bildende Künste Hamburg vor Ernst Wilhelm Nays Gemälde Mit roten und schwarzen Punkten aus dem Jahr 1954

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Anna Ganzleben im Gespräch mit den Studierenden der Hochschule für bildende Künste Hamburg