Die Gleichgesinnte
Schnell spricht Penelope Curtis über Kunst und Museen, schnell und mit großer Klarheit: »Ich glaube, man darf nie das Publikum unterschätzen. Sobald man das tut, ist es fatal. Für alle.« Die stilsichere, kleine Frau mit dem Faible für Secondhand-Mode setzt in ihren Ausstellungen auf klare ästhetische Dialoge zwischen künstlerischen Positionen, sodass »das Publikum Genuss empfinden kann und nicht das Gefühl bekommt, zuvor etwas wissen zu müssen«.
Diese Entdeckerfreude trägt auch Curtis in sich. Nach dem Kunstgeschichtsstudium in Oxford reiste Penelope Curtis (geb. 1961) durch Italien und tauchte ganz in dessen künstlerische Schätze ein, bevor sie am Courtauld Institute of Art in London ihren Master ablegte. In besonderer Weise schlägt ihr Herz für die Skulptur. Mit einer rechercheintensiven Arbeit über die französische Skulptur nach Rodin wurde sie promoviert, bevor sie sich auf eine erfolgreiche Laufbahn als Kuratorin begab. An der gerade gegründeten Tate Liverpool widmete sie sich ab 1988 insbesondere der britischen Plastik und kuratierte u. a. eine Retrospektive zu der Bildhauerin Barbara Hepworth. Als Leiterin des Henry Moore Institute in Leeds setzte Curtis von 1994 an neue Akzente, indem sie das Museum nicht nur als Ausstellungshaus führte, sondern es auch als Forschungseinrichtung auf den Radar internationaler Skulpturen-Forscher brachte. Wiebke Siem, Thomas Schütte, Imi Knoebel oder Asta Gröting zählen zu den Künstlern und Künstlerinnen der Gegenwart, die Curtis in Einzelausstellungen reflektierte und die auch den Besuchern der Kunsthalle vertraut sind. Mit Leichtigkeit bewegt Curtis sich auch zwischen zeitgenössischen und historischen Diskursen, wie etwa Taking Positions (Leeds, 2001), ihre mutige und konzentrierte Ausstellung zur figurativen Bildhauerei im Nationalsozialismus, zeigte.
Mit ihrem Wechsel an die Tate Britain im Jahr 2010 übernahm erstmals eine Frau die Leitung der 1897 gegründeten größten Sammlung britischer Kunst weltweit. Angesichts der Herrenriege der Londoner Museumsdirektoren wurde Curtis nolens volens zum Politikum. Sie kommentierte dies jedoch nicht weiter, sondern verschaffte sich mit ihrer Arbeit schnell Respekt. Unter ihrer Führung bewältigte das Museum die große Generalsanierung mit anschließender Neuhängung. Das als Millbank Project bekannt gewordene neue Gesicht der Tate Britain zeigt, wie Sammlung und Architektur, Neu und Alt mühelos zusammenfinden können. Sensibel für das Verhältnis von Raum und Volumen hat Curtis Wert auf offene Strukturen gelegt, die Durchsichten zwischen Sammlungsbeständen gestatten. Lichtdurchflutete Räume lassen bisweilen auch die Architektur allein zum Zuge kommen. Einhellig gratulierte die Kunstkritik zu diesem Ergebnis, ein seltener Umstand! Und mit anderthalb Millionen Besuchern pro Jahr zählt die Tate Britain zu den Aushängeschildern und Zugpferden der Londoner Museumsszene.
Seit 2015 stellt sich Curtis in Lissabon einer neuen Aufgabe. Als Direktorin des Museu Calouste Gulbenkian soll sie die beiden Sammlungen des Museums, die Schätze des armenisch-britischen Mäzens Gulbenkian und die Bestände zur modernen Kunst, konzeptionell und räumlich zusammenführen. Das Spektrum reicht von der islamischen Antike über Dürer, Rembrandt und Monet bis zur Gegenwart und umfasst auch die international weniger bekannte portugiesische Moderne.
Auch in der Diskussion um ausgezeichnete bzw. auszuzeichnende Kunst ist Curtis erfahren. Viele Jahre hat sie die Jury zum Turner Prize, dem wichtigsten britischen Preis zur Gegenwartskunst, geleitet. Sie ist zudem Jury-Mitglied des international bedeutenden Goslarer Kaiserrings, der in diesem Jahr an Isa Genzken verliehen wird, einer weiteren Künstlerin, mit der Curtis bereits in der Vergangenheit zusammengearbeitet hat. Ihre Wahl für den Rosa-Schapire-Kunstpreis 2017 wird sie jedoch völlig frei und ohne Jurysitzungen treffen. Wir dürfen gespannt sein!
Eines ist hingegen jetzt schon deutlich, Brexit hin oder her: Die selbstverständliche Einladung an Penelope Curtis als Jurorin des Hamburger Preises der Freunde der Kunsthalle dokumentiert die große politische, aber auch kulturelle Leistung in den europäischen Beziehungen seit Kriegsende. Zum Vergleich: In den 1940er-Jahren hatte die in Deutschland verfolgte und nach London geflohene Rosa Schapire ihre moderne Kunstsammlung der Tate Gallery angeboten. Ihre Dankesgeste für die Aufnahme in England stieß jedoch auf Ablehnung. Nur mit größter Beharrlichkeit konnte Schapire dem Museum schließlich doch noch wenige Gemälde Schmidt-Rottluffs auf drängen. Sie sind heute in der Tate Modern ausgestellt. Wie haben sich doch seitdem gerade in der Museumsszene die deutsch-britischen Beziehungen verändert. In entscheidender Weise wurde dies ermöglicht durch die Arbeit individueller Grenzgängerinnen wie Penelope Curtis. We have come a long way!
TEXT: LEONIE BEIERSDORF
LEONIE BEIERSDORF hat in Cambridge und London Kunstgeschichte studiert und wurde in Berlin über die ostdeutsche Erinnerungskultur promoviert. Sie kuratierte 2009 die Ausstellung zu Rosa Schapire im Museum für Kunst und Gewerbe, Hamburg. Seit 2015 betreut sie die Sammlung Kunst und Kunsthandwerk 1800–1945 im Germanischen Nationalmuseum, Nürnberg.