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Königs Wahl

Kommt man in Kasper Königs Berliner Büro, hat man gleich ein Déjà-vu: Stand nicht genau dieser 50er-Jahre-Schreibtisch schon im Museum Ludwig, als er dort bis 2012 Direktor war? »Ja«, sagt König, »setzen Sie sich, das ist eine gute Geschichte.« Man wird in einen abgewetzten Ledersessel positioniert, bekommt vom Assistenten einen Becher Kaffee, und schon ist König mittendrin im Erzählen.

Als er 2000 in Köln anfing, sei der Etat für die Ausstattung des Arbeitszimmers mit damals rund 10.000 Mark deutlich überdimensioniert gewesen. König verzichtete kurzerhand auf eine Neuanschaffung und erbat sich den alten Schreibtisch, den der Direktor des Wallraf-Richartz-Museums entsorgen wollte. Da das gute Stück nicht inventarisiert war, konnte er es bei seinem Weggang aus Köln praktischerweise mitnehmen.

So kann man das Möbel als Beleg seiner unkonventionellen, gern mal die repräsentativen Usancen des Kunstbetriebs hinterfragenden Art verstehen. Gleichzeitig ist es die kreative Schaltstelle seines jetzt wieder freien Kuratorendaseins. König hat ohne Abitur und nur mit ein paar Anthropologie-Semestern an der New Yorker New School als Outsider des Betriebs begonnen, um im Laufe seines jetzt 72-jährigen Lebens reichlich viele Insiderpositionen zu erobern: Er war Professor in Halifax und Düsseldorf und Rektor der Frankfurter Städelschule. Er ist Mitbegründer der Skulptur Projekte Münster, deren künstlerischer Leiter er auch 2017 wieder sein wird. Und er kuratierte legendäre Ausstellungen wie die Kölner Westkunst-Schau und zuletzt die Manifesta in Sankt Petersburg.

Diesen Mann als ersten Juror des neuen Rosa-Schapire-Kunstpreises zu wählen, lag für Kunsthallen-Direktor Hubertus Gaßner in mehrfacher Hinsicht nahe: »König ist einer der renommiertesten Ausstellungskuratoren weltweit und sowohl in der zeitgenössischen Kunst als auch in seiner Funktion als langjähriger Museumsdirektor in den vergangenen Epochen der Kunst zu Hause, so dass wir uns niemand Besseren für den Auftakt des von den Freunden der Hamburger Kunsthalle vergebenen Preises wünschen können.«

Dabei ist König auch noch in anderer Hinsicht der ideale Juror für den Preis. Rosa Schapire (1874–1954), die der Preis ehrend in Erinnerung rufen soll, hat als eine der ersten Frauen in Kunstgeschichte promoviert. Schapire hat früh die Brücke-Künstler entdeckt und sich gegen viele Widerstände leidenschaftlich für den Expressionismus eingesetzt. Sie hat als unverheiratete Frau vom Publizieren gelebt und ihr Hamburger Wohnzimmer von Karl Schmidt-Rottluff als Gesamtkunstwerk gestalten lassen. Hier scharte sie, bis sie 1939 emigrieren musste, Kritiker der nationalsozialistischen Kunstbarbarei um sich.

Gerade ein eigensinniger Querkopf wie König dürfte geeignet sein, im Geiste dieser mutigen Pionierin einen ähnlich widerständigen und kämpferischen Preisträger auszusuchen. König widmet sich dieser Aufgabe umso lieber, als er mit Schapire auch ein Faible für Postkarten teilt. Sie hatte eine Sammlung von 150 Exemplaren, die befreundete Künstler für sie gezeichnet und an sie geschickt hatten. Und König ist bekannt für seine Kommunikation per Postkarte. Der Digitalisierung trotzend, pflegt er mit seinen postalischen Kurznachrichten ein weltweites Netzwerk aus Kollegen und Künstlern, auf dem seine Ausstellungen basieren. Den Hang zum anachronistischen Medium versteht er durchaus als Marotte: »Aber sie bewährt sich.«

Von diesen Postkarten liegen etliche auf dem Schreibtisch. Einige sind Fundstücke, andere hat er mit Zeitungsausschnitten selbst beklebt. Die meisten sind schon einem Empfänger zugedacht und adressiert, warten aber noch auf den konkreten Schreibanlass. Natürlich bekommt er auch so manche Gegensendung: »Von meiner Postkartenfreundin, der Künstlerin Cosima von Bonin, habe ich bestimmt schon hundert.«

Sein anderes wichtiges Accessoire ist das legendäre Adressbuch, das König oft – im Stoffbeutel von seiner Schulter baumelnd – mit sich herumzutragen pflegte. »Ich habe es jetzt abgeschlossen«, sagt er und wirft einen Stapel aus der Spiralheftung gelöster A4-Seiten auf den Tisch: »Ich habe es photokopiert, auf den Namen ›Facebook à la Asbach Uralt‹ getauft und meinem Bruder geschenkt.« Der Name »Facebook« trifft es: Neben fast allen Adresseinträgen klebt ein kleines Porträtphoto.

Rosa Schapire hat mal gesagt: »Der Einzelne vermag außerordentlich viel, vorausgesetzt, dass er guten Willens ist und die Bereitschaft hat, sich einzu setzen. «König ist so ein Einzelner, der immens viel angestoßen und erreicht hat – das aber vor allem, weil Beziehungen für ihn essentiell sind. Wissenschaftlich unterfüttert wurde das Prinzip König unlängst durch Florian Waldvogel, den ehemaligen Direktor des Hamburger Kunstvereins. In seiner Dissertation über Königs kuratorische Praxis definiert er ihn als einen »relationalen Ausstellungsmacher«, der Räume, Menschen und Diskurse miteinander verknüpft.

Tatsächlich war König schon in den 1960er Jahren ein wichtiger Vermittler zwischen den Kunstszenen in Europa und den USA. Und er hat immer wieder Kooperationen gesucht – bei Westkunst (Köln, 1981) mit dem Kritiker Laszlo Glozer, bei der Malerei-Schau Der zerbrochene Spiegel (Wien, Hamburg 1993) mit Hans Ulrich Obrist und bei den Skulptur Projekten in Münster mit Klaus Bußmann.

Für die Skulptur Projekte 2017 hat er unter anderem die Kuratorin, Kunstkritikerin und ehemalige Leiterin des Harburger Kunstvereins Britta Peters an geworben. Er nennt sie »the brain« und betont, dass der konzeptuelle Ansatz der 5. Skulptur Projekte von ihr formuliert wurde. Neben der Ortsspezifik soll diesmal ein globaler gedanklicher Kontext stärker hervortreten, der unter anderem den Zusammenhang zwischen Digitalisierung, Körperlichkeit und zeitbasierten Kunstformen berühren wird.

Es passt zu Königs Kantigkeit, dass er dafür kämpfte, den einzigartigen Zehn-Jahres-Rhythmus der Skulptur Projekte zu erhalten, um mit den Künstlern in Ruhe arbeiten zu können und nicht den Aufregungszyklen von Städtemarketing und Kunstmarkt zu verfallen: »Zehn Jahre sind genau richtig: westfälisch und unaufgeregt, Lagerfeuer statt Leuchttürme.«

Was den Rosa-Schapire-Kunstpreis anbelangt, sogefällt es König, dass damit an eine mutige und leidenschaftliche Kämpferin für die Kunst erinnert wird. Wichtig ist ihm aber auch, dass mit der Verleihung der Ankauf eines Werks des Preisträgers verbunden wird, damit die Kunsthalle langfristig profitiert – zumal er deren öffentliche Finanzierung, gerade was Ankäufe anbelangt, für schlichtweg unzureichend hält. Nicht auszuschließen ist deshalb, dass er listig einen Preisträger wählen wird, zu dessen künstlerischen Strategien auch das Kommentieren von kulturpolitischen Konstellationen gehört.



TEXT: KARIN SCHULZE

KARIN SCHULZE hat Germanistik und Philosophie in München und Hamburg studiert und mit »Ein luftiger Austausch«. Das implizierte Wissen vom Subjekt in den »Duineser Elegien« Rainer Maria Rilkes promoviert. Sie arbeitet seit 1986 als freie Journalistin und Kunstkritikerin u. a. für SPIEGEL ONLINE und Vogue.